Mit EU-Fördermitteln die Auswirkungen des Coronavirus vermindern
Im Rahmen eines europäischen Konsortiums untersuchen Forschende der Universität Bern, wie sich das Coronavirus ausbreitet, wie gefährlich es ist und welche Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie wirksam sind. Das EU-Forschungsrahmenprogramm «Horizon 2020» unterstützt das Projekt des Konsortiums mit insgesamt drei Millionen Euro.
Die Ausbreitung von neu auftretenden Infektionskrankheiten ist das Spezialgebiet der Forschungsgruppe um den Epidemiologen Christian Althaus am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern. «Wir haben zuvor zu Ebola und dem Mers-Coronavirus geforscht und bereits Anfang Jahr mit unseren Arbeiten zum neuen Coronavirus begonnen», sagt Christian Althaus. Die Ende Januar veröffentlichte Studie der Berner Forschenden war eine der ersten, die zeigte, dass es wahrscheinlich zu einer weltweiten Pandemie kommen würde. Als deshalb die EU-Kommission ankündigte, die dringend notwendige Forschung zum neuen Coronavirus zu fördern, machte sich Althaus gleich auf die Suche nach europäischen Partnern und kam schnell in Kontakt mit ebenfalls interessierten Kolleginnen und Kollegen.
Drei Millionen Euro für sechs Partner
Es entstand ein Konsortium mit sechs Partnerinstitutionen, das unter der Leitung der belgischen Universität Hasselt innerhalb von zwei Wochen einen Forschungsantrag stellte, der nun bewilligt wurde. «EpiPose» heisst das europäische Projekt, das zum Ziel hat, die Auswirkungen von Covid-19 auf das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und die Gesellschaft in Europa zu vermindern. Neben zwei belgischen Universitäten und der Universität Bern sind Institutionen in den Niederlanden, Grossbritannien und Italien an dem Projekt mit drei Jahren Laufzeit beteiligt. Insgesamt stellt das EU-Forschungsrahmenprogramm «Horizon 2020» dafür drei Millionen Euro zur Verfügung. Die Berner Forschenden erhalten rund eine halbe Million Euro.
Kurzfristige Prognosen als Entscheidungsgrundlage
«Unsere Aufgabe ist es, den Verlauf der Epidemie zu beschreiben», erklärt Althaus. «Wie breitet sich das Virus in verschiedenen Ländern aus? Wie hoch ist die Sterblichkeit?», seien Fragen, beantwortet werden sollen. Dazu führt sein Team statistische Analysen der vorhandenen Daten durch und erstellt Modelle, mit denen in Computersimulationen mögliche Szenarien berechnet werden. Zurzeit arbeiten die Forschenden an einer Echtzeitanalyse der Daten, mit der sie versuchen, die Situation in der Schweiz für die folgenden zwei bis vier Wochen zu prognostizieren. Diese Analyse soll unter anderem zeigen, wann man einen Rückgang der Fallzahlen der Covid-19-Erkrankungen erwarten kann oder wann mit einem weiteren Anstieg der Infizierten zu rechnen ist – Erkenntnisse, aufgrund deren die Behörden die Massnahmen zur Eindämmung lockern können oder wieder verstärken müssen.
«Diese kurzfristigen Prognosen werden wohl noch lange wichtige Entscheidungsgrundlagen sein, sowohl für die Schweiz als auch die anderen europäischen Staaten», urteilt Althaus, der nicht damit rechnet, dass das Virus so bald verschwinden wird. Neben den Analysen zum Verlauf der Epidemie verwendet das ISPM einen Teil der EU-Fördermittel zum Aufbau einer automatisierten Datenbank, in der die aktuellen Forschungsresultate zum Coronavirus abrufbar sind.
Diese Arbeit, im Fachjargon «Living Evidence» genannt, wird von der Epidemiologin Nicola Low geleitet. Ihr Team hat bereits während des Ausbruchs des Zikavirus 2016 erstmals eine solche Datenbank entwickelt. «Noch nie gab es so viele Veröffentlichungen zu einer neuen Krankheit wie bei Covid-19», sagt Nicola Low: «In einem automatisierten Prozess sammeln wir die Publikationen täglich und machen sie so schnell wie möglich auf einer offenen Plattform für alle verfügbar.» Die Datenbank enthält neben publizierten Arbeiten auch sogenannte Preprints, welche die Forschenden auf einen Server hochladen, noch bevor sie diese bei einer Fachzeitschrift eingereicht haben.
Wie wirksam sind Home-Office oder Schulschliessungen?
Partner des «EpiPose»-Konsortiums in Belgien und den Niederlanden führen Studien durch, bei denen sie ausgewählte Gruppen auf Antikörper gegen das Coronavirus im Blut testen, um herauszufinden, wie hoch die Rate der Infizierten tatsächlich ist. Teams in Grossbritannien und Belgien erforschen, welche Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie wirksam sind: Wie gut können Social Distancing, Home-Office oder Schulschliessungen die Ausbreitung des Coronavirus stoppen? Die italienische Partnerinstitution steuert wichtige Fachkenntnisse bei der Analyse von Social-Media-Daten bei, während das britische Forschungsteam auch untersucht, wie sich die soziale Kontaktstruktur auf die Ausbreitung des Virus auswirkt. Eine zweite belgische Gruppe analysiert die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus und der getroffenen Eindämmungsmassnahmen.
«Langfristig geht es unserem europäischen Konsortium darum, Synergien zwischen den verschiedenen Forschungsbereichen effizient zu nutzen», sagt Christian Althaus: «Wir möchten die Epidemie gesamthaft beschreiben, so dass wir in ein oder zwei Jahren wirklich gut verstehen, was passiert ist und was noch geschehen könnte, und wir nicht weiter im Dunklen tappen, wie wir dies jetzt – zumindest teilweise – noch tun.»
EU-Forschungsprojekte zum Coronavirus
«Horizon 2020» ist das Forschungsrahmenprogramm der EU mit einem Budget von insgesamt 77 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020. Um die Coronaforschung schnell voranzutreiben, startete die EU-Kommission am 30. Januar 2020 einen dringlichen Aufruf für neue «Horizon 2020»-Projekte zu Covid-19. Ursprünglich waren dafür zehn Millionen Euro vorgesehen; dieser Betrag wurde auf 48.5 Millionen Euro aufgestockt. Mit diesen Fördermitteln werden 18 Projekte unterstützt, an sechs der Vorhaben sind Schweizer Forschungsinstitutionen beteiligt, darunter die Universität Bern. Insgesamt arbeiten an den Projekten 140 Forschungsteams aus der gesamten EU und darüber hinaus. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/research_and_innovation/research_by_area/documents/ec_rtd_cv-projects.pdf
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